Wir wissen es alle: Der Januar in Deutschland ist im geregelten Normalfall beschissen. Und in Deutschland ist alles geregelt – und daher vieles beschissen.
Da liegt es für mich nahe in dieser Zeit zu verreisen. Und das möglichst fern. In diesem Jahr kommt mir da das Chaos in Afrika sehr gelegen, denn eigentlich sollte im Jahr 2013 der Africa Cup of Nations (also quasi die Europameisterschaft des Kontinents) in Libyen ausgetragen werden. Fußballfunktionäre sind korrupt und skrupellos. So skrupellos, in einem Bürgerkriegsland ein so großes Turnier auszutragen dann aber scheinbar doch nicht. Oder es floss nicht genug Geld.
Auf jeden Fall entschied man sich nun dieses Turnier zu verlegen (absagen geht ja nicht, es geht ja um viel Geld). „Hier, wir!“ schrie da Südafrika am lautesten, denn hier hat man noch Stadien und Infrastruktur der WM2010. Mit diesen kann man sonst größtenteils nix anfangen, bestes Beispiel dafür ist das Stadion in Kapstadt. Für hunderte Millionen gegen den Widerstand der Anwohner gebaut. Die Fifa wollte für schöne Bilder gerne das Meer im Vorder- und den berühmten Tafelberg im Hintergrund haben. Also kam nur die teure Waterfront Gegend in Betracht. Als das Teil dann stand (es erinnert übrigens leicht an das Münchener Schlauchboot von außen), fragte man sich auch schon, was man nach der Handvoll Spiele der WM mit der Kiste machen wollte. Gute Frage, weiß leider bis heute keiner. Fußball ist in Südafrika wenn überhaupt der dritte Sport hinter Rugby und Cricket (dieses furchtbare Spiel haben die Engländer in ihrer Kolonialzeit hier eingeschleppt) und so viele Großereignisse und Konzerte gibt es nun auch nicht. Lange Rede kurzer Sinn: Aktuell überlegt man dieses Teil abzureißen und ein Einkaufszentrum an seine Stelle zu pflanzen. Da hatte die Fifa WM ja mal wieder was gutes, denn wir alle wissen: Wenn Afrika eines im Überfluss hat, dann ist es Geld.
So das Wetter war der eine Grund, der andere, dass zu meiner Jugend die Apartheid beendet wurde. Als ich 12, 13 war 1994 hatte dieses menschenverachtende System endlich ein Ende, nachdem die internationale Öffentlichkeit nicht mehr nur so tun konnte als wäre das ja alles ganz furchtbar was am Kap der guten Hoffnung geschieht. Für diejenigen unter euch, die vom Segen der späten Geburt betroffen sind: Es handelt sich bei der „Apartheid“ um ein System der Rassentrennung, bei dem natürlich der weiße Mann der bevorzugte war, die Schwarzen (die meisten übrigens nicht wie häufig angenommen die „Ureinwohner“ Südafrikas sondern Nachkommen der Sklaven, die die Holländer und Engländer zu ihrer Kolonialzeit ins Land holten) in gewisse (unattraktive) Gegenden gepfercht wurden und diese im Normalfall nicht mal verlassen durften. Dafür waren Passierscheine notwendig. Auch sonst kannte die Diskriminierung wenige Grenzen. Aber wie das meistens so ist, wenn eine Minderheit eine Mehrheit unterdrückt: Es funktioniert zum Glück nicht ewig. Ein heute ganz bekanntes Gesicht, welches mit dem Ende der Apartheid verbunden wird ist der spätere Präsident Südafrikas: Nelson Mandela. Er selbst saß über 20 Jahre (alleine 18 davon auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island vor der Küste Kapstadts) für sein Bestreben nach Freiheit im Gefängnis. Welch Ironie.
Kurz: In meiner Jugend war dieses Land häufig in den Medien, einiges davon ist hängen geblieben und damit stand auch immer mal der Wunsch her zu fahren und mir alles mit eigenen Augen anzuschauen. Winter, Afrikacup, grundlegendes Interesse … was hält einen also noch von einem Besuch ab? Richtig: Nichts.
Nach einigen tollen und interessanten Tagen in Kapstadt und am Kap der guten Hoffnung ging es ins Landesinnere, nach Johannesburg. Hier in der „gefährlichsten Stadt der Welt“ laut vielen Statistiken und Reiseführern, sollten das Eröffnungsspiel und das erste Gruppenspiel des African Cup of Nations 2013 stattfinden. Noch während der Zeit der Apartheid war Südafrika regelmäßig von der Teilnahme ausgeschlossen, jetzt ist man nur zwei einhalb Jahre nach der WM erneut Gastgeber eines Fußballgrossereignisses. Dies ist sicher auch Zeichen eines „neuen Südafrika“. Achso wieso ich vom wirklich schönen Kapstadt in den Moloch Johannesburg geflogen bin? Ganz einfach: Man hat es leider versäumt das Stadion in Kapstadt für den Afrikacup zu nutzen, also auch diese Gelegenheit vertan die Schüssel vielleicht doch noch einmal zu füllen.
11 Euro. So viel (bzw wenig) hat mich die Kombikarte für die beiden Spiele Südafrika – Kap Verde und Marokko – Angola übrigens gekostet. Zu kaufen über das Internet und noch wenige Tage vor Beginn zu haben. Sowas stell man sich mal bei einer Europameisterschaft vor. Was ich mir jedoch dann nicht ausmalen will ist das Abholen der im Internet gekauften Karten. Dies ging nur in teilnehmenden Spar-Supermärkten (ja, in Südafrika gibt es die noch). Leider wusste in kaum einer Filiale jemand Bescheid welche denn nun teilnimmt. Und so lief ich einen Tag zu Fuß durch die Außenbereiche diese Millionenstadt von einem Spar zum anderen nur um dort wieder zu hören, dass es die Karten „ganz ganz sicher!“ in der Filiale XY gäb. Das ist Realsatire im Premium Segment. Aber nach einem anstrengenden Fußmarsch (und anschließender Minibusfahrt von der mir jeder als „very dangerous!“ abgeraten hatte) war auch dieser Teil erledigt. Zum Glück, denn eine Tageskasse gab es entgegen meiner ursprünglichen Erwartung nicht, Soccercity, das mit knapp 95.000 Plätzen größte Stadion des Afrikanischen Kontinents war zwei Tage vor dem Spiel ausverkauft und auch einen Schwarzmarkt gab es nur in kleinem Maße am Spieltag.
Zum Stadion ging es mit dem öffentlichen Nahverkehr. Soccercity liegt etwas außerhalb, schon fast in Soweto. Diese Stadt (bzw mittlerweile ist sie in Johannesburg eingemeindet und keine eigenständige Stadt mehr) ist ein Zusammenschluss verschiedener Townships, wie hierzulande die Elendsviertel genannt werden und hat sage und schreibe ca 3,5 Millionen Einwohner. Also mehr als 10x soviele Menschen wie in Münster wohnen, leben dort auf einen Fleck in Hütten aus Pappe und Sperrholz. Soweto gilt seit einem großen Aufstand 1976 als Symbol der Apartheidsära. Grundsätzlich muss man sagen, dass man als Außenstehender das Gefühl hat, dass hier Dinge aufgearbeitet wurden. Man sieht einige Schwarz und Weiß gemischte Familien, Schulklassen wo die Kinder gut miteinander auskommen. Sicherlich gibt es auch heute noch viel Distanz zwischen den Bevölkerungsgruppen aber wohl kaum zu vergleichen mit der Situation beispielsweise in Deuschland lange noch nach dem 2. Weltkrieg wo man davon ausging, die Nazis seien Aliens gewesen, die Deutschland zwölf Jahre lang besetzt hielten, bestenfalls eine hässliche Verwandtschaft, unter deren schlechten Manieren man selber immer noch leiden muss. Dennoch wird auch hier ein wirkliches Zusammenwachsen nicht nur noch Generationen dauern sondern vor allem auch Perspektiven für alle fordern, denn Hass und vor allem Fremdenhass wachsen besonders in wirtschaftlich prekären Zeiten am schnellsten.
So genug der langen Worte. Am Spieltag ging es also mit dem Linienbus (natürlich auch „very dangerous!“ raus in die Pampa. Und ein Vorurteil zu dieser Stadt muss ich leider bestätigen: Sie ist ein furchtbares Loch. Ich kann mich nicht daran erinnern schon mal eine so dreckige, chaotische und kaputte Stadt gesehen zu haben. Dies gilt natürlich nicht für die Gegenden der Reichen im Umland, wo man sich mit Stacheldraht und kilometerweise elektrischen Zäunen Parallelwelten erschaffen hat inklusiver vieler „armed response“ Schilder an den Türen. Die Innenstadt hingegen ist zu dunklen Stunden eine wirkliche No-go-Area. Zunächst ging es noch recht komfortabel los, als der Bus dann aus allen Nähten platze und die Straße sich ohne Vorwarnung in eine breite Buckelpiste verwandelt, geht der Autostrom endgültig in einem fröhlichen Chaos auf, in dem jeder jeden überholt. Anarchie auf Johannesburgs Ausfallstraßen bis der als Stadion getarnte Riesendonut in Sicht kommt. Architektur als Kriegserklärung.
Normal fahre ich nicht zu Länderspielen. Ich finde sie schlicht unnütz. Nationalstolz ist ein etwas albernes Gefühl: „Ich bin stolz auf mein Land“ ist ein ebenso sonderbarer Satz wie: „Ich bin stolz darauf, ein Mann zu sein“. Aber in Afrika ist die Planung von Ligaspielen halt nicht immer ganz einfach und so nehme ich in diesem Fall halt auch mal ein Länderspiel mit.
14 Tage war das Wetter wunderbar. Und was passiert als der feine Herr nach einer ¾ Stunde Fahrt endlich aus dem Vehikel steigt? Genau – es schüttet wie aus Eimern. Na herzlichen Dank, dafür bin ich nicht hier. Die paar Meter vom Bus zum Stadion lassen mich (und mit mir tausende anderer die schon hier sind um sie die langatmige Eröffnungszeremonie an zu tun) komplett durchnässen. Aber vergessen Sie nicht: Was Sie nicht umbringt, macht Ihr Leiden für Außenstehende umso lustiger.
So musste auch die Zeremonie etwas improvisiert werden (oder war es nur der African-way?) und scheinbar auch ein wenig gekürzt, fein! Während des Spektakels übrigens vielleicht maximal 20.000 Zuschauer im Rund, der Rest verschanzte sich in die reichhaltigen Katakomben.
Dahin zog ich mich auch erst mal zurück, um mich am Fressstand einzudecken. Und hier konnte ich dann erleben, was manche Menschen an Afrika so verzweifeln lässt. Ich kann mich nicht daran erinnern jemals einen so chaotischen Essensstand bei einer Großveranstaltung erlebt zu haben. Die 12 Angestellten rannten hin und her wie im Armeisenhaufen, keiner hatte einen Plan von überhaupt nichts und sowieso schienen die meisten das erste mal eine Portion Pommes oder eine Wurst zu machen. So durfte ich dann über 20 Minuten auf einen Hotdog und eine Cola warten. Und das obwohl mehr Angestellte als Kunden an der Bar standen.
Frisch gestärkt ging es zurück aber auch die folgenden zwei Stunden sollte ich meinen eigentlichen Sitzplatz nicht zu Gesicht bekommen. Der ganze Unterrang stand komplett im Regen und so verliefen sich tausende in den geschützten Oberrang oder in die Katakomben von wo aus man das Spiel auch beobachten konnte. Noch während des Einlaufs der Spieler hatte dann besagte Cateringstation ihren großen Auftritt: Man fackelte kurzerhand das Frittenfett ab und nebelte damit die halbe Hintertorseite ein, von dem Gestank ganz zu schweigen. Glanzleistung.
Das Spiel an sich war vor allem eines: Laut! Leider weniger durch schöne Gesänge (die es jedoch auch vereinzelt gab und die wirklich typisch afrikanisch was ganz besonderes waren und die man wohl sonst nirgends auf der Welt so hört) sondern hauptsächlich dank der schon bei der WM berühmt berüchtigten Vuvuzelas. Ich hatte mir sogar in weiser Voraussicht Ohrenstöpsel mitgenommen um ohne Hörschaden den Rückweg antreten zu können. Ich war übrigens bei weitem nicht der einzige mit dieser Idee. Ansonsten wusste die (wenig präsente) Polizei recht schnell das Stehen und Feiern von Fans hinterm Tor zu verhindern. Geht ja auch nicht, dass die den leeren Plätzen hinter sich de Sicht versperren. Aber nachdem im Stadion zu Kapstadt schon neben der obligatorischen Pyrotechnik sogar Fahnen und Fußbälle verboten waren wunderte mich hier eh nichts mehr. Währenddessen konnte Angola, die eine Stunde nach diesem Spiel direkt anschließend ihr Match mit Marokko lieferten (einen Bericht hiervon erspare ich euch mal) die erste Schlägerei des Turniers vermeldet. Ein Ordner marschierte in eine Gruppe Angolaner und verdrosch mit stoischer Entschlossenheit einen der Ihren. Fanden diese erwartungsgemäß nicht so toll und latschten nun Ihrerseits den Herrn im Leibchen zusammen. Nichts spektakuläres, aber da es direkt vor mir passierte zumindest für einige Minuten weit interessanter als das Spiel. Dieses war (besonders von den vor wenigen Jahren noch unter den Top-Mannschaften gehandelten Südafrikanern) echt schwach. Cap Verde (der erste der mir ohne zu wikipedieren die Hauptstadt nennen kann kriegt auf der nächsten Auswärtsfahrt ein Getränk aus getan) stellte den Spielbetrieb zwischenzeitlich gar komplett ein. Dennoch schwappte schon nach 20 Minuten die erste LaOla durch die Ränge. Es ist klein und es ist aus Kartoffelbrei – aber es ist meins! Die Zuschauer sind hier scheinbar mit wenig zufrieden. Als Dann nach 90 Minuten jedoch immer noch keine Besserung zu vermelden war, das Spiel beendet wurde gab es dann doch noch die verdienten Pfiffe für Bafana Bafana wie die Nationalmannschaft im Volksmund genannt wird. Das Spiel Marokko – Angola wollten dann erwartungsgemäß nicht mehr viele sehen, der Großteil der Fans verließ das Stadion. Ärgerlich, denn es konnte eigentlich nicht mehr schlechter werden und mehr Zuschauer verdient hätte das Spiel gehabt.
Dieser Text wurde (gekürzt) in Transparent Magazin abgedruckt.