Eigentlich ist es nicht so mein Ding vor dem ersten Besuch eines neuen Landes groß den Reiseführer nach seiner Meinung zu fragen, diese mache ich mir ganz gerne selber. Bei einem Land, das erst 1996 einen 36jährigen Bürgerkrieg beendet hat und in dem man heute noch regelmäßig Massengräber von Hinrichtungen dieser Zeit findet, da frage ich dann doch mal nach. Und derselbige weiss dann auch folgendes zu berichten:
„Top Thema in Guatemala ist die innere Sicherheit. Schätzungen zufolge werden nur 5% der Morde im ganzen Land strafrechtlich überhaupt verfolgt. Täglich berichten die Zeitungen von zehn und mehr Mordopfern allein in Guatemala Stadt, die Zahl der Entführungen hat sich im letzten Jahrzehnt verfünffacht. Die jährliche Mordrate ist von 2904 auf 6498 geradezu explodiert. Da ist es nicht besonders hilfreich, dass sich in den letzten zehn Jahren 14 Polizeidirektoren die Klinke in die Hand gaben. Von denen wurde auch noch einer beschuldigt 300.000 U$D bei einer Kokain-Razzia unterschlagen zu haben.“
Dementsprechend enthusiastisch dann meine Ankunft. Aus der Luft betrachtet sieht die Hauptstadt Guatemala City oder kurz: Guate wunderschön aus. Auf knapp 1.500 Metern über dem Meeresspiegel liegt die Millionenstadt mitten in den grünen Bergen. In der Stadt selbst gibt es bewaldete Schluchten und teilweise gar wilde Wasserfälle. Je tiefer man jedoch kommt, umso mehr wird die Armut deutlich, die riesigen Favelas erstrecken sich über große Teile des Horizonts. Von einer dieser Favelas, der so genannten „Zone 18“, schrieb der Stern neulich, dass dort Krieg tobe und selbst das Militär sich nur sehr ungerne und nur schwerst bewaffnet rein traue.
Aber wie heisst es so schön? „Wir sterben nicht an den Gefahren, wir sterben an der Angst vor den Gefahren.“ Okay zumindest solange man nicht in der Liste der zehn oder mehr Mordopfer pro Tag in dieser Stadt auftaucht. Nach zwei Tagen in dieser Stadt, in denen mir immer wieder vom Hostelchef abgeraten wurde nach draussen zu gehen weil zu dunkel, zu voll, zu was auch immer, ist wird mir jedoch klar: Die größte Gefahr in dieser Stadt ist, dass jeder zweite Hanspampel eine Waffe trägt. Wenn man aus der Tür geht und als erstes fliegt einem ein Helikopter des Militärs über den Kopf aus dem Soldaten mit Maschinengewehren zielen, man dann um die Ecke tritt und dort Polizisten die MPs im Anschlag haben und selbst vor der kleinen Wäscherei, dem Kiosk an der Straße oder dem Restaurant private Sicherheitsdienste mit ihrer Pumpgun lauern. Dann ist die Angst davor, dass einer dieser Personen mal eine Sicherung raus fliegt, sie überreagiert oder schlicht einen Fehler macht und mal eben ein paar Mitmenschen aus dem Diesseits befördert weit größer als die davor von einem ominösen Kriminellen überfallen zu werden. Diese wollen nämlich meist nur das eine: Geld und nicht gleich dein Leben. Wenn vorm Billardsalon, dem Bäcker und der Post Warnhinweise hängen, dass das Betreten des Ladens mit Schusswaffen nicht gestattet sei und die Grundschule neben der hohen Mauer tatsächlich einen Aussichtsturm mit bewaffnetem Wachmann hat, dann kriegt man dieses ungute Gefühl auch einfach nicht aus dem Kopf, weil man schlicht und ergreifend alle 20 Meter daran erinnert wird.
Aber auch sonst ist die Stadt leider alles andere als spektakulär und wird von vielen Reisenden zurecht nur als Durchgangsstation betrachtet. Allerdings: Wer Essen kennt, dem gefällt’s überall.
In eben dieser Stadt spielt auch mit Municipal einer der erfolgreichsten Vereine des Landes. Die „Rojos“, wie sie aufgrund ihrer Farbe auch genannt werden, spielen dabei fast alle Spiele im 24.000er Nationalstadion, dem größten des Landes. Nun hat aber der Fußballgott aus welchen Gründen auch immer dieses heutige Spiel gegen Halcones auf einen Mittwoch Mittag um 12 Uhr gelegt. Da dies auch in einem Land wie Guatemala eine durchaus nicht unwesentliche Menge potentieller Zuschauer abhalten dürfte dem Spiel ihrer Lieblinge live und in Farbe beizuwohnen, entschied man sich für den Umzug ins Estadio del Trebol, dem eigentlichen aber viel kleineren Stadion des Vereins. Eine gute Entscheidung wie sich herausstellen sollte, denn mit den gut 3.000 Zuschauern (Gäste waren keine auszumachen) kam so noch eine richtig schöne Fußballatmosphäre auf um soviel vorweg zu nehmen.
Da ich gerade der einzige Ausländer bin, der aus dem Bus steigt, muss ich der Geldbesitzer sein. Sogleich werden mir einige überragende Angebote gemacht, die vom Handy bis zu undefinierbarem Essen reichen. Ich bin schon froh, dass ich nicht wie ein Hostelmitbewohner erklären muss, wieso ich kein Interesse an einer AK-47 hätte. Einzig was ich nicht finde ist ein Kartenhäuschen. Bei Eintrittspreisen von ab einem Euro bis maximal derer fünf bin ich eigentlich kein Freund davon den Verein zu prellen aber wenn es partout nicht anders geht muss ich halt doch mir anderweitig den Zutritt erschleichen. Wer weiss, vielleicht war es ja auch eine Nachwirkung des Erdbebens. Auf meinem Weg zum Stadion erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7.5 die Stadt, in einigen Nachbarstädten gab es sogar Dutzende Tote. Viel mehr, als dass alle Leute in Panik aus den Häusern rannten ist mir jedoch nicht widerfahren und Verletzte oder schwere Verwüstungen sind mir auch nicht aufgefallen. Zumindest nicht weitere als die, die dort schon seit Jahren vorherrschen.
Und die sind nicht ohne. Um es mal so auszudrücken: Die Gegend ums Stadion ist in etwa so schön wie ein romantischer Ritt auf einer Mülldeponie in einen Sonnenuntergang.
Zurück zum Ort des Geschehens: Nach dem desaströsen Spiel nur drei Tage zuvor in Mexiko noch immer leicht traumatisiert und eigentlich nicht bereit dem Fußball Mittelamerikas noch eine große Chance zu geben wurde ich positiv überrascht. Es kristallisierten sich gleich zwei Fanblocks heraus (tse, wo gibt’s denn sowas?) und von denen der eine sogar optisch und akustisch richtig was her machte. Zaunfahnen (unter anderem die der „Ultras5Calderas“) und farbige Bänder wurden gespannt ganz ähnlich wie bei uns nun im Block. Dazu hatte fast jeder der etwa 100 Mann (und überraschend viel Frau) starken Gruppe eine kleine oder größere Fahne in der Hand welche 90 Minuten durch geschwenkt wurden. Also nix mit einfach weitergeben wenn man keine Lust mehr hat. Dazu kam ein äußerst entspannter Umgang mit Pyrotechnik. Dem schönen Intro, bei dem fast auf kompletter Länge der Gegengeraden rote und blaue Rauchtöpfe gezündet wurden und dem einige Raketenbatterien recht effektlos in den blauen Himmel folgten, gabs noch mehrere Rauchfackeln das Spiel über, die einfach zu fünft oder sechst durch den Zaun gesteckt und angezündet wurden. Interessierte auch schlicht niemanden. Genauso wie die unfassbare Menge Böller die hier hoch ging. Ich möchte behaupten, dass ich auch zu besten Zeiten in Italien kein Spiel gesehen habe bei dem eine annähernd große Anzahl (teils heftiger) Böller geflogen ist. Da muss jemand die Teile Tüten-weise rein geschleppt haben.
An Gesängen bediente man sich ebenso den typischen argentinischen Melodien wie eigenen, welche jedoch meist nur recht kurze Schlachtrufe waren. Leider hatte keine der beiden Gruppen Trommeln oder andere Instrumente dabei aber die Koordination lief auch so ganz gut, die Lautstärke zumindest der aktivieren Gruppe kann man durchaus als überraschend einstufen. Rundum gelungen dieses Spiel, wenn da nicht wieder diese permanente Angst vor Gewalt gewesen wäre. Die Ordner trugen tatsächlich schusssichere Westen und Schilde aus Hartplastik während die Polizei am Eingang mit Maschinenpistolen im Anschlag stand. Nicht auszudenken, wenn bei Krawallen einer einfach mal in die Menge halten würde.
Und nicht auszudenken, wenn die Gäste mal fünf Minuten versucht hätten Fußball zu spielen. So aber war man von der ersten Sekunde an darauf bedacht den Spielfluss zu stören und jede noch so sinnlose Aktion zu einer Spielunterbrechung zu nutzen oder ein Foul vorzutäuschen. Selbst als unparteiischer Zuschauer kommt mir die Galle hoch, wenn ein Team mit so einer Taktik auch noch durch kommt. Begleitet von sicherlich 40 Böllern alleine in den letzten 8-10 Minuten fielen die Fünftplatzierten um wie die Fliegen. Die Nachspielzeit jedoch war noch einmal für einen Lacher gut: Als die „1“ ausgewechselt werden sollte musste ich an Gerd Rubenbauer denken „Und jetzt wechselt Jamaika auch noch den Torwart aus.“ obwohl der FIFA Beauftragte die Nachspielzeit von einer Minute verkündet hatte. Nur schlich hier ein Mittelfeldspieler vom Platz. In der Tat, bei Halcones spielt die 1 im Mittelfeld und der Torwart hatte die 78 auf dem Rücken.
Und damit zunächst zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.