Juhu! Endlich mal wieder ein Ultra-Buch und nicht immer dieses ewige Hooligangeseier.
Zugegeben: Ich war mehr als freudig überrascht, dieses Buch in der Trolsen Releaseliste zu erspähen. Dass der Verlag im Pressetext schreibt: „Primo Nemico“ ist kein literarisches Glanzlicht. Bei Weitem nicht. hat mich dabei noch nicht weiter stutzig gemacht – soll ja gerade dies die Authentizität eines Werkes unterstreichen.
Und tatsächlich: Die Schreibweise ist soweit noch ganz in Ordnung. Besonders gut gelungen, dass oft Originalzitate kommen und dann direkt übersetzt werden. So lernt man sogar noch ein wenig beim Lesen. Das Buch ist ein Tatsachenbericht eines Napoli-Ultra. Von welcher der Gruppierungen erfährt man leider nicht, nur dass sie in der Curva A beheimatet ist im heimischen Stadio Sao Paolo. Und auch sonst erfährt man herzlich wenig über Ultra. Weder über die Besonderheiten der neapolitanischen Szene mit Mafia-Verstrickungen, besonders engen Bünden gewisser Gruppen, in denen man nur Mitglied werden kann, wenn man in ihrem Viertel aufgewachsen ist etc. Auch nichts über die Gruppenstrukturen, über die Organisation der Gruppen oder Verhältnis zum Verein, zu den jeweiligen anderen Gruppen der Kurven. Nichts.
Es dreht sich alles um ein einziges Thema: Den Primo nemico. Den Erzfeid: Die Polizei. Bereits im ersten Kapitel berichtet der Autor stolz, wie er einem Polizisten zweimal ein Messer ins Bein rammt. Die (teils nur zwei Seiten langen) Kapitel springen wild von Jahr zu Jahr zwischen den 90er und Mitte der 2000er Jahre. In bester englischer Hooligantradition schreibt er nur von Randale und von nichts anderem. Einziger Unterschied: In den englischen Büchern ist die eigene Gruppe meist unbesiegbar – hier ist es scheinbar nur der Protagonist, der nicht müde wird zu erklären was für ein harter Hund er ist. Auch gerne mal zu zweit gegen 20 und immer den Gürtel über dem Kopf schwingend oder das Messer in der Hand. Egal ob beim Fußball oder im Strandurlaub, es scheint nur das eine zu geben. Jeder, der wissen will, wieso die italienischen Stadien heute so aussehen wie sie aussehen muss das Buch lesen. 186 Seiten Randale gegen die Polizei – das kann und darf nicht gut gehen auf die Jahre.
Jeder jedoch, der darauf gehofft hatte mehr über die italienische Szene zu erfahren, über die Begeisterung, die Hintergründe, die Mentalität der Ultras dort, der wird bitter enttäuscht werden. Bezeichnender Weise ist der einzige Satz der in diesem Buch über Stimmung geschrieben wird zum Derby in Genoa, als er und seine Leute ihre Freunde dort unterstützen und er schreibt was für ein tolles Gefühl es wäre in so einer Kurve zu stehen. Naja kein Wunder wenn er sonst schon vor der Halbzeit damit beschäftigt ist Polizisten mit Fackeln, Papierbomben und Mülleimern anzugreifen. Besonders skuril mutet es an, wenn er von Freunden anderer Vereine zu Spielen eingeladen wird (bspw. Millwall – West Ham; Reggina – Varese) und dort dann fackelschmeißend in der ersten Reihe steht. Spätestens dann hat es absolut Garnichts mehr von einem Ultra sondern man sieht den Protagonisten schlicht als einfachen Krawalltouristen. Daher hat man auch wenig bis gar kein Mitleid, als er bei einem Testspiel zwischen Juve und Genoa ein Messer in den Rücken bekommt (aber natürlich todesmutig weiterkämpfen will und nur von seinen Freunden überredet werden kann ins Krankenhaus zu fahren anstatt auf dem Schlachtfeld zu verbluten). Besonders, dass er nach dieser (sicherlich nicht ungefährlichen) Verletzung immer noch nicht ins Grübeln gerät, lässt tief blicken.
Alles in allem kann man nur hoffen, dass dies ein typisch neapolitanischer Ultra ist und nicht ein typisch italienischer, denn sonst wäre ich die letzten 10 Jahre wohl einem falschen Ideal gefolgt.
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