Das Buch ist durchaus schon älteren Datums (erschienen im Jahr 2008), steht aber seit dem auf meinem Wunschzettel. Bis dato hatte ich aber entweder keine Zeit, kein Geld oder schlicht andere Bücher, die ich lieber lesen wollte.
Schade, denn dieses Buch verdient es wirklich gelesen zu werden.
Ich muss ja zugeben, dass ich vom Fußball in der Türkei wenig Ahnung habe (lediglich eine Tour steht bisher zu Buche: 1; 2; 3). Gerade deswegen habe ich dieses Buch förmlich aufgesogen – auch wenn bei weitem nicht alles positiv ist, was man dort liest. Besonders die Verflechtungen zwischen Politik und Sport ist extrem. Extrem leider auch in ihrer Ausrichtung – und das besonders auf der nationalistischen Seite. Der Autor beschreibt sehr detailliert, wie besonders die türkischen Medien und Politiker im Fußball eine Art Ersatzkrieg ausfechten und dabei häufig auf nationalistische und rassistische (bspw. Gegenüber dunkelhäutigen Spielern) Ebenen abdriften. Aber auch in den Vereinen ist dieses Denken sehr verwurzelt, so war Cem Uzan, Begründer einer rechten türkischen Partei, Präsident bei Galatasaray. Mittlerweile befindet er sich jedoch auf der Flucht vor Interpol.
Sehr schön hingegen die Verknüpfung der Fußballgeschichten mit Allgemeinwissen bezüglich Entstehung der Türkei, dessen Gründer Kemal Atatürk oder über das alte Osmanische Reich. Aber auch die Vorherrschaft der drei Istanbuler Vereine Fenerbahce, Besiktas und Galatasaray wird interessant erläutert. Welch ungemeinen Strukturen diese Vereine sogar in Westeuropa dank der vielen türkischstämmigen Einwanderer haben war mir bisher gänzlich unbewusst. So haben alle drei in Europa nicht nur Scouts, sondern ganze Netzwerke davon, eigene Schulen – hauptamtlich Angestellte hat beispielsweise Galatasaray in Köln, die dafür zuständig sind die 400.000 Galafans in Europa zu betreuen.
Diese drei Vereine machen Unsummen mit Marketing und Merchandising in ganz Europa und während in England, Italien und Spanien die Vereine der Reihe nach pleite gehen, sagt man Galatasaray ein Vereinsvermögen von über 700 Millionen Euro nach.
Das Buch selbst lebt von seinen Anekdoten und kleinen Geschichten aus der Welt des türkischen Fußballs, die hier sonst niemals in den Medien ankommen. Angefangen bei Vereinen, die es dank ihrer durchgedrehten Präsidenten schaffen bis zum 14. Spieltag schon vier Trainer verschlissen zu haben (kein Einzelfall – wobei es andere zum gleichen Zeitpunkt dann „nur“ auf drei schafften) bis hin zu Regionen in denen Spieler sich nicht in Discos trauen können, weil sie sonst dort verprügelt würden wenn man sie feiern oder gar Alkohol trinken sehen würde.
Aber auch solche Anekdoten sind es, die zeigen wie anders der Sport in Anatolien ist: „Am 14. Spieltag kam der große Bruch. Weil Torhüter Bülent Ataman und Assistenztrainer Mertin Bayindir in der 37. Minute beim Spiel gegen Sakaryaspor den Schiedsrichter verprügelten., wurde das Spiel abgebrochen …“ In der Ersten Liga wohl gemerkt und vor laufenden Livekameras.
Für mich persönlich am interessantesten war das Kapitel über die Entstehung und Entwicklung der Fanszenen in der Türkei, von den so genannten „Amigos“, quasi Maskottchen der Vereine, die jedoch die kompletten Kurven stimmungsmäßig unter Kontrolle hatten bis hin zu den heutigen Ultras, die teilweise jedoch nicht mehr als Stadtteilbanden sind. Damit einhergehend auch eine immense Steigerung der Gewalt in und um die Stadien. Kurze Statements von Carsi Mitgliedern runden das Kapitel ab.
Am uninteressantesten hingegen das letzte Kapitel, welches sich mit türkischen Vereinen in Deutschland und ihrer Entwicklung beschäftigt. Auch wenn man hier sicherlich einiges neues erfährt, so ist es doch nicht mein Ziel, etwas über Türkiyemspor Berlin zu lesen, wenn ich mir ein Buch über die Süperlig kaufe.
„Ohne Fußball ist ein Mann kein Mann.“ So lautet ein türkisches Sprichwort. Ohne dieses Buch ist man sicherlich nicht weniger Mann oder Frau – mit ihm aber durchaus einiges schlauer darüber, was Fußball am Bosporus bedeutet.
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