Ich muss ganz ehrlich zugeben: Der Fußball in Brasilien hat mich bisher nicht sonderlich begeistert und auch bei meinen insgesamt drei Aufenthalten in dem Land ist mir das alles nicht näher gekommen.
Dennoch: Brasilien ist eine der, wenn nicht gar DIE Fußballmacht auf diesem Planeten. 2014 wird die WM dort ausgetragen und in diesem Hinblick hat Martin Curi, der seit 10 Jahren dort lebt (und nebenbei diesen lesenswerten blog schreibt: http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br ) quasi einen Almanach, ein allumfassendes Lexikon über Brasilien und seinen Fußball verfasst. Die WM (und die kurz darauf stattfindenden Olympischen Spiele in Rio) sind der Rahmen der Geschichte doch der wahre Aufhänger ist die wahnsinnige Vielfältigkeit mit der der brasilianische Fußball und auch der Brasilianer an sich durchleuchtet und erklärt wird. Der Seelenzustand nach Sieg, Niederlage und Weltuntergang sind nun durchaus verständlicher, und auch wenn der Autor natürlich nicht auf jede Frage eine Antwort finden kann, so probiert er es zumindest sehr erfolgreich.
Es geht nicht nur um die Selecao, die Nationalmannschaft, sondern vor allem auch um Nieschengebiete wie: Der Fußball der Ureinwohner und ihre eigene „Indianer WM“, Aberglaube und Rituale bis hin zum Verfluchen von Gegnern oder ganzen Stadien, der Ursprung des Sportes in Brasilien, natürlich den Karneval, die Torcidas und das „Fansein“ im Allgemeinen, Brasilianer im Deutschen Fußball (bis runter in die 6. Liga inklusive der Erklärung wieso sie sich selbst dort als „Fußballprofis“ bezeichnen) und und und.
Es dürfte wohl kaum einen Punkt geben, der nach der Lektüre dieser über 350 Seiten noch unbeantwortet bleibt. Hinzu kommt für alle WM-Touristen (und natürlich alle jene, die erst nach diesem Event reisen wollen) eine tolle Übersicht über die Spielstädte, ihre Einwohner, Sehenswürdigkeiten und Essgewohnheiten vor Ort.
So mancher kritische Satz in Hinblick auf die Geldmacherei mit WM und Olympia kann man durchaus als Prophezeiung der Demonstrationen und Ausschreitungen rund um den Confedcup 2013 sehen, über die Curi übrigens sehr umfangreich und interessant auf seinem oben genannten blog berichtet.
Wer sich ein wenig für Fußball, Südamerika oder gar Fußball in Südamerika interessiert, für den ist dieser dicke Wälzer mit Sicherheit absolute Pflicht. Wer sich „nur“ für eines von beiden interessiert, der macht mit dieser Investition aber unter Garantie auch nichts falsch. Das Buch ist trotz der vielen Daten und Namen sehr flüssig zu lesen, zieht einen durchaus in den Bann, was für ein Sachbuch nun wirklich nicht alltäglich ist. Einziger Kritikpunkt ist, dass manche Punkte in mehreren Kapiteln angesprochen und jeweils erläutert werden. Dadurch kann man zwar ein Kapitel überspringen (warum zum Teufel sollte man das tun wollen?) ohne später den Anschluss zu verpassen aber wenn man dies nicht tut, ließt es sich ein wenig, als ob die Kapitel unabhängig von einander geschrieben worden und nicht als gesammeltes Werk geplant gewesen seien.
Unterm Strich bleibt das wohl am besten recherchierte und Detailreichste Buch über den brasilianischen Fußball in deutscher Sprache inklusiver vieler Geschichten und Gesichtspunkte, die den meisten, auch interessierten, Lesern bisher gänzlich unbekannt gewesen sein dürften.
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