Winterpause in Deutschland, englische Wochen in Italien – was liegt da näher, als mal wieder vorbei zu schauen?
Mitten in der Nacht in MS den Zug geentert, in Düsseldorf Flughafen wieder rausgeplumst und in den Air Berlin Flieger geschleppt. Naja Air Berlin hätte es sein sollen, dba war es dank Kooperation oder Aufkauf oder was auch immer. Auf jedenfall in die Sitze geflezt und noch vor dem Rollen auf die Startbahn in anderen Sphären geschwebt und diese erst mit der Landung wieder verlassen. Somit das Frühstück an Bord verpennt und auch beim 72. Flug kann ich noch immer noch sagen was man nun beim Fall einer Notlandung machen soll. Also bitte nicht neben mich setzen …
Der Bus nach Milano durfte für 6,90 Euro betreten werden, dank Stau dauerte die Fahrt diesmal etwas länger als gewöhnlich. In Mailand etwas zu futtern und Reiseliteratur erstanden, ehe der Hammer mit den Zugpreisen kam. Nach La Spezia (über Genua) gab es eine strecke nur Eurostar, so dass die Fahrt ma eben mit 22 Euro zu Buche schlug (und das auch nur, weil der Betrugsversuch des Schaffnix am Schalter erkannt wurde).
Naja in getrennten Waggons ging es raus aus der recht nebligen Lombardei rüber nach Ligurien. Hier erwartete uns nicht nur ein toller Ausblick aufs Mittelmeer während der Fahrt, sondern ab Genua auch super Sonnenschein und sehr angenehme Temperaturen. So mag ich die Vorweihnachtszeit!
La Spezia Centrale rausgejumped und nach kurzer Suche mit einem Hotelier an der mit schönen Orangenbäumen gesäumten Hauptstraße einig geworden. Das Hotel war eines der großen „Albergo“ kette, welche laut eines Mitfahreres wohl in ganz Italien Niederlassungen hat … eine Übersetzung des Wortes konnte dieses Missverständnis jedoch schnell auflösen 😉
Die Stadt La Spezia, mit etwas unter 100.000 Einwohnern war erst in den letzten Wochen in die deutsche Presse gekommen, als einem deutschen Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges aus Greven hier der Prozess gemacht wurde. Im 2. Weltkrieg war La Spezia ein viel angelaufener Hafen der deutschen Kriegsmarine und auch heute sind große Teile des Hafens militärisches Sperrgebiet. So auch direkt vor dem Stadio Alberto Picco (9.200 Plätze).
Während des Kartenorganisierens (La Spezia fällt nicht unter der Dekret, welches das Verkaufen von Tickets am Stadion verbietet, da es unter 10.000 Zuschauer fasst) wurde der Gästeblock fleißig im Auge behalten, erhoffte man sich doch einen guten Blick auf die ankommenden Gäste aus Lecce. Viel konnte man bei einer Anreise von 2000km für ein 2. Ligaspiel unter der Woche nicht erwarten, zumal man das Derby gegen Bari am Wochenende 1:3 verloren hatte.
Dennoch übertraf der Gästemob doch wohl die Erwartungen. Derbe aggro ging’s direkt beim Einlaufen der Teams zum Warmmachen los – die ersten rennen nach unten an die Plexiglaswand und bepöbeln alles was nach Lecce aussieht, man zeigt, wie begeistert man von dem Derbyergebnis ist. Die Spieler halten sich dezent vom Anhang fern was sich auch als besser erweist, denn als der Keeper warm geschossen wird fliegen ihm erstmal Papierbomben und Böller um die Ohren. Von den eigenen Leuten wohl gemerkt …
Beim Einlaufen dann ein geiles Intro der Heimultras. Rauch in verschiedenen Farben, mittendrin eine Schalparade, Fahnen und römische Lichter, 2 bis 3 Bengalen und ein paar Fontänen. Ein richtig schönes Durcheinander hinter der riesigen „Ultras Spezia“ (immerhin 1974 gegründet auch schon über 30 Jahre alt). Klasse zu sehen, dass Pyro hier endlich wieder hochgehalten wird, nachdem ein Gericht die Legalität von diffidati für Pyro angezweifelt und besagte Stadionverbote aufgehoben hat- auch im Gästeblock raucht es ein wenig. Etwa 150 haben sich hinter der „Ultras Lecce“ Auswärtsfahne und einem leider nicht lesbaren Transparent eingefunden. Für besagte Entfernung und einen Dienstagabend mit Sicherheit eine ordentliche Leistung.
Im Ground selbst dürften an die 8.000 Zuschauer gewesen sein, die Stimmung auf Heimseite richtig gut mit sehr hoher Beteiligung der ziemlich großen Curva. Aber irgendwas ist an der Akkustik mies. Besonders deutlich wurde das beim Zünden einer Papierbombe. Man sieht den Blitz der Detonation, einen großen Rauchpilz … aber der Schall klingt als ob jemand einen Böller in einen Gulli geworfen hätte. Schade aber auch so kommen die bösen Schalalaultrafeiermelodischenteufelslieder ziemlich schön rüber. Wenn im Gästeblock gesungen wird dann auch richtig schön laut und vor allem mit einer 100% Beteiligung. Im Settore Ospiti treten auch das Spiel über gerne nochmal pyrotechnische Erzeugnisse in Erscheinung, vor allem nach den mehr als schmeichelhaften und lächerlichen 2 Toren für die Giallorosso. Im Gegenzug für Spezia 2 glasklare Elfmeter nicht gegeben und die Spezzini neben uns auf der Tribüne rasten komplett aus. Alles was sich finden lässt fliegt auf Linienrichter, Auswechselspieler und Gästetrainer. Dieser pöbelt noch fleißig zurück und der Mob tobt erst recht. Alte Opas hängen an der Plexiglaswand und rufen böse Ausdrücke rüber, die ich so auch noch nicht gehört habe und einer versucht sein Glück indem er seine 70 kg Lebendgewicht gegen die Fluchttür zum Innenraum wirft. Recht erfolglos natürlich.
Leider geht auch ein sehr unterhaltsames Spiel mal zu Ende und wir haben genug gefroren (nachdem die Sonne untergegangen war und ein leichter Wind vom Meer kam wurde es doch schon rattig kalt), eskalierten ab in die nächste Pizzeria ehe der wohlverdiente Schlaf anvisiert wurde.
Mittwochmorgen – das gleiche Bild wie am Vortag. Schon morgens sehr angenehme Temperaturen, keine Wolke in Sicht und gute Laune bei der ausgeschlafenen Kombo, eine SMS aus der Heimat in der es irgendwie um Streufahrzeuge ging tat ihr übriges.
Von La Spezia ging es mit umsteigen in Pisa gen Empoli, Tatort des heutigen Toscanaderbies in der Serie A gegen Siena und gleichzeitig Duell sehr alter Ultragruppierungen. Während die Rangers Empoli 1976 und die Desperados 1983 gegründet wurden, sind es die Fedelissimi Siena 1970. Zahlen die zeigen, wie weit die Ultrabewegung in Italien ihren deutschen Nachmachern voraus ist und wie geradezu grotesk es wirkt, wenn hierzulande Gruppen nach 2-3 Jahren den Kopf in den Sand stecken und den Kampf aufgeben.
Empoli ist eine Kleinstadt von etwa 40.000 Einwohnern und eine der wenigen verbliebenen „richtigen“ linken Ultragruppen in Italien. Recht komisch wirkt das, wenn man die City selbst sieht: recht sauber, ordentlich und vor allem scheinbar ohne große Armut. Alles aber keine Arbeiterstadt wie beispielsweise Livorno. Aber auch ein paar weitere Sachen fallen (negativ) auf auf dieser Tour. Irgendwie ist die Toskana anders als der Rest Italiens, denn keine kranken Autofahrer, kein Gehupe, Autos warten an Zebrastreifen – eyyyy was soll das? Bin jetzt schon froh, wenn es im Januar wieder nach Sizilien geht. Nach längerer Suche wird entschieden, dass es in Empoli lediglich ein einziges Hotel gibt – dieses wird aber zum Glück für einigermaßen bezahlbare Konditionen beehrt. Ein kurzer Gang zum 15 Minuten entfernten Stadion und die Kartensituation ausgecheckt, etwas zu Futtern erstanden und noch für 2 Stunden auf dem Zimmer gechillt. Auch hier trotz angenehmer Temperaturen die lange Unterholme angezogen, denn der Wind war eher nicht so der Bringer. So ließ es sich auch vorm Gästeblock aushalten, wo wir der Ankunft der Gäste entgegenfieberten. Aber es kam und kam einfach nichts in den großräumig abgesperrten Bereich. Keine Fahnen keine Busse, keine Ultras die sich durch die 3 Absperrreihen von Polizei und Ordnern kämpften. Erst 15 minuten vor Spielbeginn als wir schon aufgeben wollten kamen die enttäuschenden 7 Busse aus dem gerade mal 70km entfernten Siena angerollt. Schlussendlich hatten sich vll 600 Leute im aus 4 Blöcken bestehenden Gästeblock eingefunden und füllten gerade mal einen der Blöcke. Ziemlich bitter für so eine Entfernung. Aber wie späteres Zeitungs- und Fotostudium zeigte: Der Spieltag unter der Woche scheint überall ziemlich mies anzukommen. Bei Sampdoria-Livorno 17.000 Zuschauer und gerade etwa 350 Gäste, Milan nur zur Hälfte voll, das Gleiche bei Lazio-Inter und in Verona gar nur 4.000 Zuschauer insgesamt. Bei uns auch nur knappe 5.000 Zuschauer und das bei nem Derby, ziemlich arg. Das Stadion fasst knapp 20.000 aber zum Glück war die eine Hintertorseite gesperrt, so dass die, die da waren jedenfalls etwas dichter standen. Die Ultras uns gegenüber auf der Geraden im Unterrang zu Spielbeginn nicht existent während Siena schon ganz gut anfing zu rocken. Das Spiel läuft schon 5 Minuten da gehen uns gegenüber etwa ein Dutzend Bengalen an und der Startschuss ist gegeben. Die Empolesi legen los mit einem ganz guten Support, teils sogar echt klasse wenn alles mitzieht.
Sehr spaßig die Pöbelheinzfraktion am Ende der Geraden hin zum Gästeblock. Über 90 Minuten Richtung Ospiti dicke Lippe gehabt und als diese mit einem „dove sono gli Ultras?“ (wo sind eure Ultras?) antworten totale Eskalation der Freaks.
Mit einem total miesen Kick geht es 0:0 in die Halbzeit, wir frieren uns Körperteile ab, die man gerne noch behalten würde und wärmen uns kurz am „Empoli Point“ im Stadion auf. Hier hängen richtig geile Bilder aus besseren Zeiten an der Wand, wo hinter Rangers und Desperadosfahnen tausende Ultras stehen. Bleibt nur zu hoffen, dass hier endlich die Notbremse gezogen wird und die beschissenen Restriktionen für Kartenverkauf und die Eintrittspreiserhöhungen der letzten Jahre eingestampft werden. Aber es geht auch eindeutig wieder voran (bzw zurück in bessere Zeiten) wie man beim Umgang mit Pyrotechnik sieht. Konnte man vor einem Jahr bei kaum einem Spiel sehen wie gefackelt wurde, so ist es heute bei fast jedem Spiel wieder an der Tagesordnung.
Zum Wiederanpfiff auf Heimseite ein Transpi im Oberrang, mit dem sich bei allen für 30 Jahre (man muss es sich mal auf der Zunge zergehen lassen ..) Rangers Empoli gedankt wurde. Dazu an Plastikstangen in die Höhe gehalten 3 alte bis uralte Zaunfahnen der Gruppe. Richtig geil ich kann mich nicht dran erinnern mal eine 30 Jahre alte Zaunfahne gesehen zu haben. Höchsten Respekt für so eine lange Zeit!
Die Stimmung bei Empoli jetzt richtig gut und vor allem nach dem 1:0 Krüppeltor schwappt die Stimmung auch auf den Rest über. Die ganze Gegenseite am hüpfen und Siena nurnoch gelegentlich mit ein paar Gesängen. Schade, wenn man sieht Wieviel Senesi normal mitkommen zu diesem Spiel.
Egal, wir freuen uns über die Gesänge der Ultras (übrigens ebenfalls Schalalalalieder ohne 3:0 Führung pft was sind das für Fans? Sollen se doch innen Kirchenchor gehen wenn se sowas singen wollen!) und hoffen auf den Abpfiff, denn die Kälte kriecht so langsam in jede Pore.
Der Schiedsrichter hat ein einsehen und wir können noch beobachten, wie ein Spieler statt seines Trikots seine Hose (WTF ??) mit dem Gegner tauscht. Auch mal was Neues. Die Curva Casa am feiern, die Gäste am pöbeln aber alles geht friedlich zu den bereitstehenden Bussen, nur eine Papierbombe kann man beim Abmarsch noch hören. Schade, insgesamt weit unter den Erwartungen geblieben dieses Derby aber dafür die Erkenntnis gewonnen, dass es sich unter der Woche nicht wirklich lohnt nach Italien zu fliegen, daraus lernt man.
Die obligatorische Pizza Diavola wusste jedoch zu gefallen und spätestens nachdem das grandiose Pepperonipulver entdeckt (und später für den weiteren Heimgebrauch eingesteckt) und die Pizza damit überhäuft wurde war Party im Kopf angesagt. Scheiße war das scharf … hindert aber auch nicht mehr an totenstarreähnlichem Schlaf.
Da unser Flieger erst Donnerstagabend zurück gehen sollte hatten wir ausnahmsweise mal richtig Zeit. Die Wahl ob über Florenz oder Bologna zu fahren fiel aus Sightseeinggründen auf Ersteres. Dumm gelaufen, die andere Verbindung hätte uns für den 2. Teil der Etappe nur die Hälfte gekostet und auch so hatten wir nur eine knappe Stunde Aufenthalt um nicht einen noch teureren Zug nehmen zu müssen. Dafür konnte der Florenzer Dom bestaunt werden – auch was wert, ein wirklich beeindruckender Bau. Die Rückfahrt im Zug nach Milano Centrale über Bologna, Parma, Modena etc wurde dann mehr oder weniger verschlafen. Ankunft in Mailand mit ganzen 2 Euro inner Patte und da der Pendelbus in Dortmund auch nochmal mit einem zu buche schlägt keine großen Sprünge mehr möglich. Shuttlebustickets hatten wir zum Glück von der Taxifraktion, die vor wenigen Tagen in Mailand war erhalten und so ging es kostenneutral nach Malpensa. eine SMS aus der Heimat hatte zwischenzeitlich Erwartungen geweckt man könne noch Modena-Napoli am Freitag mitnehmen und evtl den Samstagsspieltag. Doch alles Roger, „nur“ 50 Minuten Verspätung. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Easyjet Flügen. Die Besatzung der Maschine nach Madrid kurz vor der totalen Eskalation, Napoli auch ziemlich angepisst. Ach ker schön wenn alles klappt wie es soll *g*
Auch der finale Teil der Tour schlicht perfekt. Ankunft in Dortmund, wir rennen aus der Tür und winken gerade noch dem Pendelbus zum Bahnhof hinterher. Kurze Beratung und es geht per Pedes auf, in der Kälte warten hat keiner Bock drauf. Da wir sportlichen Jungs unter die Walkingfraktion gegangen sind Punktlandung! 30 Sekunden vor Abfahrt unseres Zuges eingetrudelt und mit Türenschliessen über die Zugschwelle gesprungen. Juhu!