Das erste mal seit knapp 1 ½ Jahren nun wieder ein Flug über die Alpen. Vieles hat sich geändert seit den Vorfällen von Catania und irgendwie hatte ich die – nicht unbegründete – Angst, dass das Italien, das ich kennen gelernt habe nicht mehr das ist wie vorher.
Bei Flügen von 1 Cent ab Hahn nach Pescara und zurück konnte ich dann aber doch nicht mehr nein sagen, zumal endlich ein Spiel von MEINEM Barletta winkte.
Kurz und gut: 2 Tage vor Abflug konnte dann noch ein weiterer Mitfahrer/flieger überredet werden und so ging es morgens um 5 Uhr mit Zug, Bus und Flieger nach Pescara. Aufgrund des recht ausgeprägten Schlafdefizites wurden dann sowohl der Flug als auch die Zugfahrt von Pescara bis Bari quasi komplett verpennt.
Vierter Besuch in Puglien meinerseits – Das zweite Mal zum Fußball schauen und just bei diesen beiden Besuchen regnet es, während die anderen beiden male strahlender Sonnenschein herrschte … da mag mich der Fußballgott nicht. Egal, ins günstige Hostel zu 17,99 pro Person eingecheckt und gleich Bekanntschaft gemacht mit den einzigen beiden Mitbewohnern: 2 Japanern, von denen der eine nun schon seit einem Jahr dabei ist die Erde mit seinem Fahrrad zu erkunden und sich für das kommende Jahr vorgenommen hat sich über Portugal nach Südamerika und von da nach Australien durchzuradeln. Respekt.
Von körperlicher Ertüchtigung wollten wir nix mehr wissen, vielmehr wurde sich eine gigantisch günstige Pizza einverleibt und sich dann in die Horizontale begeben.
Der nächste Morgen begann dann mit einem Espresso im Cafe nebenan. Die Augen waren noch verklebt und halb zu, anders kann ich mir nicht erklären wie wir es geschafft haben zu bestellen ohne zu sehen was das für ein toller Laden ist. Mussolinikalender sind in Italien ja nichts Außergewöhnliches, aber dazu dann noch Wimpel „SS-Legion Italien“, Kampfabzeichen der SS und SA sowie Duce Bilder und Aufkleber in jeder Ecke hätten eigentlich auffallen müssen. Spätestens als selbst auf den Zuckertütchen dann das Konterfei des italienischen Diktators prangte hatten wir im wahrsten Sinne den Kaffee auf und sahen zu, dass wir weg kamen.
In einem Tabacci in der Stadt wurde sich dann um Tickets gekümmert, wo man auch direkt auf einen Braunschweiger mit Anhang traf, die mit dem Nachtzug von Mailand aus gekommen waren.
Die – wirklich schöne – Altstadt von Bari hatten wir am Abend vorher bzw. am Morgen schon genügend bewundert, also sollte es nun nach einem kleinen Abstecher im Supermarkt direkt zum Stadion raus gehen. Das Stadion San Nicola liegt weit draußen an der Autostrada, mit dem Bus knappe 45 Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Hinter uns italienische Jugendliche, die uns versuchten auszufragen, ehe ein Opa vorne merkte, dass wir Deutsche sind.
Ein kleines Wortgefecht zwischen dem Opi und dem Anführer der Jungs und schon gab’s Dresche mit dem Regenschirm für den jüngeren. Selten so einen Hass in den Augen gesehen bei jemandem, da müssen 60 Jahre alte Wunden wohl noch sehr tief sitzen. Dennoch waren nicht wir das Ziel, sondern sein Landsmann, der mit uns hatte reden wollen und nun auch den Rückzug aus dem Bus antrat.
Mit einem nun doch arg mulmigen Gefühl im Magen setzte sich der Bus in Bewegung.
Am Stadion war dann etwas rumlungern angesagt, aber dank des Freundschaftlichen Charakters (Bari und Salerno sind seit 25 Jahren befreundet), war es doch trotz der viel größeren Anzahl Gäste weit entspannter im Umfeld als noch vor 2 Jahren beim Spiel gegen Hellas Verona an gleicher Stelle.
Die Gunst der Stunde wurde dann genutzt und mit einigen der Ultras etwas palavert, wobei uns die Capi vorgestellt wurden, Emailadressen ausgetauscht wurden und ich kurz mit in die Curva genommen wurde. Während wir so vor dem Tor standen kam dann ein Typ, Mitte 50 mit Megafon in der Hand an und wurde uns vorgestellt als „Capo storico“ und sprach sogar ein wenig Deutsch. Das Witzige daran: Er bellt einen gut 30 Jährigen an, was „ihm Pico“ einfallen würde die Emailadressen zu tauschen – das sei Sache der Alten. In dem Alter noch als Pico durchzugehen dürfte zeigen, welche Altersstrukturen hier teilweise vorherrschen. Utopisch …
Nach dieser wirklich tollen Gastfreundschaft wollten wir es auch nicht weiter ausreizen und lehnten eine Einladung dankend ab, das Spiel in der Curva zu verbringen.
Vor Spielbeginn feierten dann beide Ultragruppen ihre Freundschaft, wie es in Italien üblich ist. Vor ihrer jeweiligen Kurve gehen kleine Abordnungen mit Fahnen und Transpis aufeinander zu , treffen sich in der Mitte wo es dann große Umarmungen und Küsschen gibt, ehe man sich dann vor der Kurve des jeweils anderen feiern lässt. Da mitten drin zu stehen hatte mal was und vor allem konnte ich so sehen, dass bei Salerno die „Picos“ vermutlich ein ähnliches Alter haben dürften wie bei Bari.
Danach aber leider von Salerno außer 1 oder 2 schönen Schalparaden nix zu sehen. Gute 1.500 unter den insg. 15.000 Tifosi standen im Settore Ospiti – im Vergleich zu Hellas vor 2 Jahren mit vll 30 Leuten eine immense Steigerung, zählbares bei herausgekommen ist leider nicht. Schade, von Salernitana hatte ich mir wirklich was versprochen.
Bei Bari die Kurve gut doppelt so voll wie beim letzten mal, dafür lässt das Fahnenverbot die Curva nackt und unansehnlich ausschauen – graue Mauern statt toller Fahnen. Dafür waren Trommeln, Schwenker etc erlaubt also zumindest etwas. Doch auch Bari fand ich mit Ausnahme der letzten 10 Minuten nicht so gut wie beim ersten Besuch.
Mit dem 1:0 Sieg in Unterzahl sicherte sich Bari den 2. Tabellenplatz hinter Livorno und wenn alles glatt geht gibt es hier nächstes Jahr wieder Spiele gegen Napoli, Lecce etc.
Im Dunkeln ging es dann zur einzigen Bushaltestelle, wo sich schon eine gute Menge Kids angesammelte hatte die gerade dabei war Leuten ihre Salernoschals zu ruppen. Soviel zu 25 Jahren Freundschaft … als dann auch noch 2 der Ultras mit denen wir uns vorm Spiel getroffen hatten sich lauthals von „den Deutschen“ verabschiedeten, dass auch der letzte Trottel es gemerkt haben musste beschlossen wir dann doch lieber den Weg zu Fuß anzutreten zumal durch den Abfahrtsstau Busse eh nicht durchkamen. Tatsächlich überholte uns der Bus auch erst kurz bevor wir wieder in der Stadt waren und uns wohl verdienter Weise in einer Pizzeria niederließen um Wunden zu lecken und die Mägen zu füllen.
Am Sonntag Morgen wurde der Abmarsch aus dem Hostel so lange wie möglich herausgezögert, die Wartezeit am Bahnhof somit minimiert. Knappe 8 Euro kostete die schnelle Verbindung ins nördlicher gelegene Barletta.
Barletta steht schon seit der Zeit in der sie in der Eccellenza gespielt haben auf meiner Wunschliste ganz oben, sind in den vergangenen Jahren 2x aufgestiegen und spielen nun in der C2.
Gemeinsam mit uns beiden kamen dann noch ein anderer Braunschweiger sowie dessen Anhang in der 90.000 Einwohner Hafenstadt an. Die Suche nach einer Gepäckaufbewahrung war leider ergebnislos und so ging es mit Sack und Pack zum nahe gelegenen Stadion wo sich zunächst die Tickets gesichert wurden ehe es wieder um die elementaren Menschlichen Bedürfnisse in Form von Nahrungszufuhr ging. Diese sollte auch gefunden werden: In einer kleinen Kneipe unweit des Stadions. Dass die Gruppo Erotico (führende Ultragruppe in Barletta, gegründet 1987 und somit nur wenig jünger als meiner einer …) hier auch einkehrt wurde einem vorher natürlich nicht gesagt. An den Wänden wieder mal ein Bild vom Duce – direkt neben einem vom guten alten Che und dem letzten Papst (welch illustre Runde) und viele … viele … viele geile alte Stadionbilder. Um uns herum knappe 35 Herrschaften von denen wohl keiner weniger als 3 Jahrzehnte Lebenserfahrung auf dem Rücken hatte. Zunächst wurden wir nur gemustert ehe jemand uns als Deutsche erkannte und seine paar Brocken Deutschkenntnisse raus holte um uns auszuquetschen bzw. uns zum Essen und Trinken einzuladen. Die anderen wurden nun auch immer mutiger und versuchten uns in Gespräche zu verwickeln – dank unserem doch eher rudimentären Italienisch dann leider doch recht kläglich. Irgendwann bat dann einer der Capi zum Gespräch nach draußen, zog sein Handy und telefonierte kurz, ehe er es einem von uns in die Hand drückte. Am anderen Ende war einer von Austria Salzburg, mit denen Barletta befreundet ist und erkundigte sich wer wir denn seien. Nach einer kurzen Erklärung gab er dann quasi sein „ok“ für unsere Anwesenheit und auch unser sehr skeptischer Ansprechpartner in Italien taute nun sichtlich auf. Wir wurden sogar direkt geladen die ankommenden Gäste mit anzugreifen und wie auf Kommando vermummte sich schon ein Tel der draußen stehenden. Wir lehnten natürlich dankend ab (Hallo hier mitlesende Zivis :-P) und zogen schon mal alleine Richtung Stadion.
Wie klein die Fußballwelt so ist wurde nun wieder eindrucksvoll bewiesen, liefen doch gleich noch 4 weitere Münsteraner bei diesem 4. Ligaspiel, gute 1800km von der Heimat, rum …
Bei der Ankunft der Gäste gab es scheinbar einige Reibereien mit der Staatsmacht, Rauchschwaden und Explosionen hinter dem Settore Ospiti waren gut zu sehen und zu hören.
Auf Heimseite dann kollektives Gepöbel beim recht eindrucksvollen Einmarsch der Gäste in ihren Block, danach für einige Minuten ein wirklicher Spitzenklasse Support von der ganzen Curva getragen und wenn man bedenkt, dass der Großteil der ca. 2.500 Zuschauer (davon etwa 400 Gäste) dort stand ein wirklich eindrucksvolles Spektakel. Lediglich die großen Zaunfahnen und Pyro (gab es nur in Form von Papierbomben bzw. bei den Gästen 2 oder 3 Bengalen) fehlten um das Feeling des vecchio Italia zu perfektionieren. Es waren quasi 90 Minuten „wie damals“ – tolle Stimmung, Pöbeleien und Poserei incl viel zum Zaun rennen, hochklettern und Gäste anpöbeln etc.
Cosenza, als wohl einzige größere Szene in Süditalien politisch sehr links einzuordnen, mit Transpis a la „Freiheit für Paläsitna“, worauf hin die Heimkurve feststellte, dass die Gäste alles Zecken seien usw. „Gewürdigt“ wurde in Gesängen auch Kapuzinerpater Fedele Bisceglia, der in der Stadt der Gäste aus Kalabrien sehr populär ist, vor 3 Jahren aber unter dem Verdacht der Vergewaltigung festgenommen worden war. Eine ziemlich kuriose Geschichte, er wurde bei seiner Abführung zitiert mit den Worten „Seht her, ich werde verfolgt, wie einst Jesus“. Wie das Verfahren genau ausgegangen ist weiß ich leider nicht – wenn da jemand mehr Infos hat bitte her damit.
Was eine 22 jährige Geschichte einer Gruppe ausmachen kann konnte man auch wieder sehen: Quasi jeder ältere im Stadion, egal ob von der Tribüne oder Gegengeraden trägt einen Schal der Gruppo Erotico und keinen normalen Vereinsschal.
Kurzum es waren 90 Minuten die mal wieder richtig Spaß gemacht haben und einem ein wenig die Hoffnung zurück gegeben haben, dass Ultrà in Italien noch nicht gänzlich tot ist.
Die nächste schwere Aufgabe war es jetzt die gut 4 Stunden bis zur Abfahrt unseres Zuges rum zu bringen, dies gelang dann auch ganz gut in einer Pizzeria, wo man so nett war schon mal den Ofen für uns anzuschmeißen. Der normale Italiener geht ja vor 20.00 Uhr nicht raus.
Nächste Station dann wieder: Pescara. Die Zugfahrt dorthin verlief sehr kurzweilig mit allerlei Klamaukgeschichten aus MS und BS, ehe wir gegen 23:00 Uhr im nass-kalten Pescara auf den Bahnsteig gejagt wurden. Hiermit begann dann jedoch der üble Teil der Tour. Fußweg zum Flughafen … mit Karte vielleicht garnicht sooo weit aber wenn man auf die Aussagen von Einheimischen angewiesen ist schon um so mehr. So zog sich der Marsch dann gute 3 Stunden in die Länge (zugegebenermaßen mit einigen Päuschen) ehe wir gegen 3 am (verschlossenen) Terminal des Aeroporo d’Abruzzo aufschlugen und mit Begeisterung feststellen konnten, dass erst gegen 5 wieder geöffnet wird. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so sehr gefroren habe wie in diesen gut 2 Stunden … das einzige was ich weiß ist, dass ich dem jetzt wohl meine Grippe und einige freie Tage verdanke.
Ansonsten wäre eigentlich jedes weitere Wort über diesen Flughafen schon eines zu viel, wenn es nicht so lustig gewesen wäre zu warten … und absolut rein garnix passiert. Als wir um 15 Uhr in den Flieger gingen waren wir der sage und schreibe 2. Start des Tages, ¾ der Geschäfte im Terminal hatten noch nicht eine Minute auf aber dafür balgten sich gute 7 oder 8 Autovermietungen um die wenigen Kunden. Und das Kuriose: der Parkplatz war gerappelt voll, andauernd kam wer rein um seinen Parkschein zu bezahlen und das obwohl direkt gegenüber ein riesiger Carrefour Supermarkt mit noch weit größerem (und kostenlosem) Parkplatz ist. Eben jener Supermarkt war dann auch Grund genug für uns unseren Lebensmittelpunkt für gute 2 Stunden des Wartens dorthin zu verlegen. Erst um wieder zu Kräften zu kommen mittels Nahrungsaufnahme, danach um durch Leute beobachten die Zeit rum zu kriegen. Schon erstaunlich, wieviele bekannte Gesichter man dort mein wieder zu erkennen und der Gedanke an eine gewisse Person aus Münster in diesem gigantischen Laden und seine wohl verzweifelten Versuche hier jemals wieder heraus zu finden brachten die Zeit doch gut und schnell rum.