Raus aus dem Rucksack – rein in den Rucksack. Kaum waren die Klamotten gewaschen, durften sie dieses Mal auch wieder eingepackt werden. Sechs Tage und zwei Preußenspiele nach der Rückkehr aus Rumänien sollte es wieder in den Ostblock gehen, genauer gesagt nach Polen, Schlesien.
Bereits früh morgens fuhr unser Zug nach Dortmund, an Bord mal wieder unerträglich besoffenes Volk auf dem Rückweg in den Pott – das nächste Mal laufe ich lieber bis zum Flughafen. Die Landung in Kattowitz dann 20 Minuten vor Plan, schnell Euro in Zloty getauscht und in den zum Glück (weil ausgebuchten) vorher reservierten Pendelbus gestiegen, der uns in die knapp 30km entfernte Stadt führen sollte.
Bereits auf dem Weg nach Katowice, welches man mit den Begebenheiten in seinem deutschen Pendant, dem Ruhrpott, vergleichen kann: Fließende Übergänge von Stadt zu Stadt, sah man an wirklich jeder Brücke, jeder Wand Schmierereien und Graffiti von diversen Hooligangruppen des polnischen Kohlenpotts. Dazwischen immer mal wieder noch aktive Fördertürme, Plattenbauten, aber auch viel Wald und Grün (bzw. zu dieser Jahreszeit eher noch Braun). Ansonsten erwartete uns im Gegensatz zur Vorwoche schönes Wetter mit Sonnenschein und Temperaturen an die 17 Grad – dazu das Fehlen von Schneewehen am Straßenrand, so gefällt das.
Vom Bahnhof Kattowitz ging es schnellen Fußes zu unserem Hotel, wo nur eben eingecheckt wurde, ehe es zum Busbahnhof und von dort mit der Linie 820 Richtung Bytom ging. Polonia Bytom sollte aber erst Sonntag von uns beehrt werden, heute ging es erst mal zum 14:00 Uhr Spiel der 3. Liga, Ruch Radzionkow gegen Zaglebie Sosnowiec, gleichzeitig auch Erster gegen Zweiter und die Erwartungen somit hoch.
Radzionkow ist ein Stadtteil von Bytom, jedoch leider hundsmiserabel an den ÖPNV angeschlossen, so dass wir für die letzten Kilometer ein Taxi bemühen mussten. Dem Taxifahrer schwatzten wir auch sogleich ein Date für nach dem Spiel auf, denn zum 17 Uhr Match bei GKS Katowice wäre es ohne selbigen wohl nichts geworden. Nicht ohne die typischen Warnungen vor bösen Hooligans ließ der gute Mann uns dann direkt vor dem Haupteingang raus und meine Begleiterin staunte bei ihrem ersten Polenspiel darüber, wie wenige „normale“ Menschen hierzulande zum Fußball gehen. In der Tat liefen hier bis zu 90% Jugendliche oder sehr junge Erwachsene rum, die meisten mit sehr spärlichem Haupthaar, dazu Joggingplinte und Kapuzenpullover. Eben das, was das polnische Fußballvolk so ausmacht.
Vor der Haupttribüne erwartete uns bereits ein Freund von Ultras Braunschweig, welcher mit seiner Kombo die Tage über unterwegs in Polen und Tschechien sein sollte. Somit war die Zeit bis zum Anstoß und darüber hinaus schon mal gerettet. Eine kleine Anekdote am Rande: Auf der Fotoweste, die meine Begleiterin zugeteilt bekam, waren große Blutflecken zu sehen – das ließ ja eigentlich auf mehr hoffen.
Um es vorweg zu nehmen: Überlebt haben wir alle und zu Verletzungen von Leib und Leben kam es ebenfalls nicht. Zunächst sah das jedoch anders aus, denn vor Spielbeginn kam die zahlreich anwesende Polizei (inkl. Zweier Wasserwerfer) auf die Idee, dass der Gästeblock nun voll genug sei. Resultat: Auch Leute, die schon Eintrittskarten hatten, sollten nun draußen bleiben. Nicht so eine gute Sache meinten diese scheinbar und versuchten nun mit Gewalt die Polizeisperre zu durchdringen. Diese standen nun hinter dem verschlossenen Tor in Zweierreihe und drückten mit aller Kraft dagegen. Von außen kamen dafür Fäuste und Böller geflogen. Die ca. 600 Aktivisten im block fanden die Entscheidung der Uniformierten auch nicht ganz so klasse und nachdem der Vorsänger mit dem Megafon im Block dazu aufgerufen hatte, stand der Block kurz darauf leer und die ersten mit Sturmhaube auf dem Kopf hinter dem Block Gewehr bei Fuß. Als erstes wurde ein Stück Zaun aus der Verankerung gerissen. Diesen Tumult nutzten die Ersten, um von draußen über die Zäune ins Stadion zu klettern, was die Polizei dazu veranlasste, größere Mengen Pfefferspray in den Mob zu schießen und somit ein weiteres Einreißen der Blockbegrenzung zu verhindern. Der Druck der Massen zeigte jedoch seine Wirkung und die Polizei schien so langsam aber sicher zu merken, dass es wohl sinniger wäre den Mob geschlossen im Block stehen zu haben, als draußen rumrennen zu lassen. Die der Letzte drin war dauerte es dennoch fast bis zur Halbzeit. Die Heimseite zeigte sich, wie in Polen üblich, solidarisch und supportete während des Geschehens so gut wie gar nicht, pöbelte nur gegen Verband und Polizei: „Lasst die Fans in Frieden, ihr Huren!“
Den Gästen war leider alles Choreomäßige verboten worden, dafür glänzte die Heimseite mit drei mehr oder weniger schönen Aktionen. Wie in Polen typisch, wird eine Choreo nicht nur als Introelement genutzt, sondern auch während des Spiels präsentiert.
In besonders guten und wichtigen Spielen kann es schon mal zu vier oder fünf Aktionen kommen. Den Anfang machte heute eine wirklich schöne Blockfahne mit einem gesprayten „Ciderland“ Motiv. Danach kam eine Chore bestehend aus Pappen und Luftballons in den Vereinsfarben Schwarz und Gelb, die im Streifenmuster im Block hochgehalten wurden und zu guter (oder besser schlechter) Letzt kamen ein paar Schwenkfahnen zum Einsatz. Dies jedoch so lustlos und in so geringer Zahl, dass man sich das Ganze vielleicht besser geschenkt hätte. Dafür konnte Radzionkow mit Hüpfeinlagen mit dem Rücken zum Spielfeld und anderen Sachen punkten, während die Gäste eher sporadisch aber dafür dann schön laut sangen. Das Kuriosum des Tages fand jedoch abseits des Stadions statt: Auf der anderen Straßenseite hatte sich eine Gruppe von ca. zehn Gästehools versammelt, welche alle schon im fortgeschrittenen Alter waren und allem Anschein nach kein großes Interesse am Spiel zu haben schienen. Ums Stadion herumstreunende Riotkids machten auch einen großen Bogen um diese sehr fitte Gruppe. Mitten in der zweiten Halbzeit kam plötzlich Bewegung in die Sache, drei Taxen hielten hinter der Gegengeraden und in eben eines davon wurde jemand mit Gewalt hinein befördert. Ob es sich dabei um eine Entführung handelte, um den Einzigen der Geld für’s Taxi hatte aber nicht zahlen wollte oder was auch immer ließ sich leider nicht abschließend klären, sorgte jedoch für offene Münder und einen Gesprächsstoff. Ein ruhiges Pflaster ist Bytom auf keinen Fall, so hing im Heimbereich auch eine Gedenkfahne für einen vor beinahe zwei Jahren ermordeten Ruch Fan, welcher auch eine Erinnerungstafel hinter der Haupttribüne sein Eigen nennen darf. Für einen knapp über 20jährigen gibt es da aber sicherlich eigentlich andere Ziele …
Abpfiff, Sieg für Radzionkow und wir schnell auf der Suche nach unserem Taxi. Der Fahrer hatte zum Glück meinen Deutsch/Englisch/Hand-und-Fuß-Mix verstanden und kam pünktlich. Knappe 20 Euro kosteten die 35 Kilometer im Taxi. Ärgerlich teuer aber nun mal die einzige Chance. Am Stadion an der Ulica Bukowa angekommen schlängelten wir uns zwischen den Zuschauermassen hindurch (respektable 5.000 sollten es heute offiziell werden) und ließen uns auf der gut gefüllten Haupttribüne nieder. Uns gegenüber befand sich der Fanblock von GKS, welcher sich über die komplette Gegengerade erstreckte. Rechts von uns, die Hintertorseite, ist der eigentliche Gästeblock, welcher heute jedoch geschlossen blieb. Bauliche Mängel nach einem Teilabriss durch Fans war der Grund hierfür. Somit heute leider keine Gäste und damit auch keine Randale zu erwarten.
In Sachen Tifo verhält es sich da ja leider häufig ähnlich in Polen: Man sieht Choreos als Wettbewerb an und wenn kein Gegner da ist, dann lohnt sich auch ein Wettbewerb nicht. In dieser Hinsicht war also leider auch nichts zu berichten.
Dafür machte sich stimmungsmäßig einiges hinter der mit gut 85 Metern einer der längsten Zaunfahnen die ich bisher zu Gesicht bekommen habe. Zwar nicht sonderlich kreativ: „Meine Stadt, mein Blut, meine Liebe: GKS Katowice“ aber dafür halt riesengroß. Seit einiger Zeit gehen Verband und Polizei auch vermehrt gegen Fahnen mit eindeutig gewaltverherrlichenden Symbolen und Aufschriften vor, daher war es durchaus verwunderlich, dass ein großes „H“ im Stil der bekannten Klamottenmarke „Hooligan“ auf diesem Stück Stoff prangte und nicht beanstandet wurde. Daneben hatte dann erneut eine Gedankfahne ihren Platz. Diesmal zum Glück nicht von anderen Fans ermordet, jedoch starb er nicht minder tragisch: Bei einer Auswärtsfahrt öffnete sich eine nicht richtig verschlossene Zugtür, an die er gelehnt stand und er fiel bei voller Fahrt auf die Gleise. Für dieses Wochenende hatte ich erst mal genug Fahnen dieser Art gesehen.
Was lautstärketechnisch da von den – hauptsächlich – Jungs hinter dieser Fahne von sich gegeben wurde, dürfte mit zu dem lautesten gehören, was man mit dieser Anzahl fähig ist zu bringen und wenn die Tribüne auch noch mit einstieg, machte es wirklich richtig Spaß zuzuhören. Was mir vor einigen Jahren bei meinem ersten Spiel von Katowice schon aufgefallen war ist, dass man nicht nur die typischen polnischen Schlachtrufe zum Besten gibt, sondern auch sich vermehrt in melodischen Gesängen versucht. Diese klingen, vor allem wenn die Melodie an sich bekannt ist, jedoch meist ein wenig gewöhnungsbedürftig für unsere Ohren. Liegt wohl hauptsächlich daran, dass Polnisch eine noch härtere Sprache als das Deutsche ist und somit halt auch sehr schwierig ist fein und melodisch gesungen zu werden. Auch als der Tabellenletzte Stal Stalowa Wola mit 0:1 in Führung gehen konnte, ließ die Unterstützung zu keinem Zeitpunkt nach – um so größer die Freude bei mir, als die Gelb-Schwarzen in der 96. Minute noch den Ausgleich erzielen konnten. Für uns beide ging es nun zu Fuß zurück zum Hotel. Es wäre zwar eine Sbahn in die richtige Richtung gefahren, bei dem Klientel an Bord war es aber sicherlich nicht die verkehrteste Idee sich nach so viel Zug-, Taxi- und Busfahren auch mal selbst zu bewegen. Wir ließen den Abend im Hotel bei Riesenpizzen ausklingen, der Pizzabote bedankte sich auch noch brav, dass man keine der 70cm XXL Pizzen (zu acht Euro) bestellt hatte. Kunststück, die hätte auch gar nicht mehr durch die enge Aufzugtür in den 1. Stock gepasst …
Sonntagmorgen ging es dank der kuriosen polnischen Bahn PKP schon frühzeitig aus den Kissen. Das Spiel der Extraklasa Piast Gliwice gegen Polonia Bytom konnte aufgrund unzureichender baulicher Begebenheiten leider nicht in Gliwice ausgetragen werden, sondern man musste etwa 50km entfernt ausweichen in das Stadion eines anderen Erstligisten: Odra Wodzislaw. Wie gesagt: Die Polnische Bahn. Für eben jene 50 Kilometer sollte man ab Kattowitz sage und schreibe 1,5 Stunden brauchen. Damit man sich das mal vorstellen kann, wie so was dann aussieht, zitiere ich meine Freundin:“ Guck mal, jetzt überholen uns schon die Fahrradfahrer da vorne.“ Dazu kommt, dass diese Verbindung scheinbar nur in Schaltjahren und dann auch nur zweimal im Monat bedient wird. Ergebnis des Ganzen: Wir kamen viel zu früh am Ziel an. Ins Stadion gelangten wir, indem wir einem Ordner nett „Hallo“ zuriefen und dieser uns dann freundlicher Weise einfach das Tor aufschloss. So geht’s also auch … Das Stadion war für eine Erstligapartie an sich ein Hohn. Acht Stufen, eine kleine Tribüne, eine breite zugewucherte Laufbahn und knapp 50cm „hohe“ Zäune mit Ausnahme des Gästeblocks.
Ich staune in Polen immer wieder, wieso hier nicht bei jedem Spiel ein Platzsturm stattfindet. Die Verantwortlichen vermutlich auch. Gäste aus dem nahen Bytom waren heute 708 angereist, hängten den Zaun ganz gut voll, während auf Heimseite einige bekannte Fahnen fehlten und nur eine „Legion Gliwice“ Fahne hing. Auch stimmungsmäßig gaben die Gäste von der ersten Minute an den Ton an. Wenn ich am Vortag schon über Kattowitz erstaunt war, so legte Bytom noch einmal einige Schippen drauf. Es war schier erstaunlich, was aus den Begebenheiten dieses wirklich miesen Gästeblocks gemacht wurde.
Angepeitscht von zwei Vorsängern (von denen man den einen noch auf der anderen Stadionseite hören kontne – welch ein Organ!) zog der Block mit einer astreinen 100% Beteiligung mit, während bei der „Heim“seite (eigentlich waren ja nur Gäste im Stadion) sich nur knapp 250 Leute begeistern konnten. Auch Piast ist eine der Szenen, welche versuchen aus dem typisch polnischen Stakkato-Support auszubrechen und so konnte man einige bekannte Melodien hören. Unter anderem auch das von USP bekannte „That’s the way …“. Klang gar nicht so schlecht. Mies war aber das, was die 22 Akteure boten. Obwohl es das klassenhöchste Spiel an diesem Wochenende war, sollte es das mit Abstand schlechteste werden. Und obwohl sich unsere Truppe in den vergangenen Wochen mit Sicherheit nicht mit Ruhm bekleckert hat: Bei diesem Niveau könnte man durchaus noch im oberen Drittel der ersten Polnischen Liga mithalten. Zumindest hat sich allem Anschein nach niemand schwer verletzt, das ist ja auch schon mal was.
Kein Spiel in Polen ohne Kuriosum, so auch bei diesem hier: Piast schoss in der ersten Halbzeit ganz eindeutig zwei Tore. Auch für den Unwissenden leicht zu erkennen an den zwei Wiederanstößen im Mittelkreis. Später behaupteten aber nicht nur der Verband, die Webseiten der beiden beteiligten Vereine, sondern auch sonstige relevanten Fußballseiten, das Spiel sei 1:0 ausgegangen.
Am Rückflugmontag wurde früh aus unserem Hotel ausgecheckt, um noch ein wenig durch die Gegend zu schauen und auch dem Fanshop von Ruch Chorzow einen kleinen Besuch abzustatten. Vorbei an „Banditen aus Katowice“ Graffiti und vielen großen und kleineren Reviermarkierungen von GKS, Ruch, Sosnowiec oder auch anderen Vereinen des Reviers, ging es auf die zehnminütige und etwa 80 Cent teure Zugfahrt. Im Shop selbst gab es leider keine Vereinssturmhauben (mehr) zu kaufen, der Rest des Sortiments hätte jedem deutschen Marketingchef eines Bundesligisten aber wohl zu einem mittleren Herzanfall gereicht. Von „Official Hooligans from Chorzow“ über „ACAB“ und „Ultras Ruch“ Sachen bis hin zur vermummten Bodybuilder Schaufensterpuppe war alles dabei. Eine andere Welt eben, in die sich dieser kurze Ausflug mal wieder gelohnt hat. Auch wenn einige Punkte mit Sicherheit ein wenig hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, so war es dennoch ein Wochenende mit schönen, neuen Erfahrungen und Einblicken in die Welt des Fußballs.